Weinbau in Harxheim – Die Firmengeschichte von Pflugbau Bücking
Am östlichen Ortausgang von Harxheim liegt das Gelände der Schlosserei Buchert. Bis 1970 wurden hier Weinbergspflüge produziert, die weit über unsere Region hinaus bekannt waren. Jakob Bücking, der Großvater des heutigen Inhabers, hat das Unternehmen 1924 gegründet.
Die Familie Bücking stammte ursprünglich aus Alsfeld in Oberhessen. In der Stadt gibt es ein Bürgerhaus (Bücking-Haus), aus dem vermutlich Jakob Bücking bzw. dessen Vorfahren stammen. Die Familie kam nach Gau-Odernheim, hier wuchs Jakob Bücking (1885 – 1957) auf. In seiner Kindheit wurden in Rheinhessen die Eisenbahnlinien gebaut, dies hat ihn sehr interessiert. Jakob Bücking war von Beruf Schlosser. Zunächst arbeitete er in Gau-Odernheim bei der Landmaschinenfirma Acker. Über den Betrieb kam er unter anderem auch nach Harxheim, um vor Ort Maschinen zu reparieren. Gegenüber dem heutigen Firmengelände der Schlosserei – damals unbebaute Feuchtwiesen – stand früher die Gastwirtschaft von Jakob und Kathrin Mann. Dort ging Jakob Bücking hin, um nach der Arbeit einen Feierabendschoppen zu trinken. Er hatte zu dieser Zeit bei der Landmaschinenfirma Böhmer in Alzey Weinbergspflüge gesehen und ihm kam die Idee, diese technisch zu verbessern.
Bücking-Werkstattgebäude vermutlich 1950er Jahre, vorne links ein zweites Harxheimer Wiegehäuschen (es gab auch ein Wiegehäuschen am Platz an der Waage im Ortszentrum)
Bildquelle: Gerhard Buchert
Jakob Bücking trug sich mit dem Gedanken, sich selbstständig zu machen und seine Ideen in die Tat umzusetzen. Als zukünftigen Betriebsstandort fiel seine Wahl auf das bereits erwähnte, landwirtschaftlich uninteressante Feuchtgelände. Es gelang ihm, es zu einem sehr günstigen Preis zu erwerben. Der nah gelegene Bahnhof – hier führte die 1896 eröffnete Amiche-Linie vorbei – machte das Grundstück zudem für die Beschaffung von Material und die Expedition seiner Erzeugnisse interessant. Er ließ das Gelände aufschütten und errichtete 1924 hier seine Werkstatt. Wegen der ständigen Nässe wurden keine Kellerräume angelegt.
Links vor dem Firmengelände stand übrigens damals ein zweites Harxheimer Wiegehäuschen, das auf Grund des Güterverkehrs am Bahnhof benötigt wurde. Das heute noch vorhandene Hoftor zum Firmengelände hatte Jakob Bücking selbst geschmiedet, ebenso existiert noch das Hoftor vor der ehemaligen Bäckerei Böhm in der Gaustraße 11 aus seiner Fertigung.
Nach Aufnahme der Pflugfertigung stellte sich rasch ein beachtlicher Verkaufserfolg ein und das Weinbergsgerät erlangte bei den Winzern einen sehr guten Ruf weit über die Harxheimer Grenzen hinaus. Von 1924 – 1970 wurden insgesamt mehr als 10.000 Weinbergspflüge produziert. Die Firma entwickelte sich dementsprechend gut, hatte inkl. Lehrlingen rund 20 Beschäftigte und stellte zur damaligen Zeit einen wichtigen Arbeitgeber für Harxheim dar.
Die Pflüge wurden im Wesentlichen in Rheinhessen und im Rheingau sowie an der Mosel verkauft, jedoch auch in anderen deutschen Anbaugebieten fanden sich Abnehmer. Der Transport erfolgte ab dem Bahnhof in Harxheim. Exportiert wurde – soweit bekannt ist – nicht. Der Vertrieb ging im Wesentlichen über Landmaschinenhändler und bäuerliche Hauptgenossenschaften. Große Kunden, wie z. B. das Weingut Guntrum in Oppenheim, das mit einem Auftrag gleich mehrere Pflüge bestellte, wurden auch direkt beliefert. Gute Kunden erhielten einen Miniaturpflug – in der Regel ein Gesellenstück – zur Ausstellung in ihren Verkaufsräumen, ein anschauliches und voll funktionsfähiges Werbemedium. Vor Ausbruch des 2. Weltkriegs kostete ein Pflug ca.120 Reichsmark.
Jakob Bücking – bekannt für eine deutliche Sprache und einen teilweise sehr robusten Umgang mit Mitmenschen – war kein Freund des NS-Regimes und ein erklärter Hitler-Gegner. Das brachte er offen zum Ausdruck. Ein Mitte der 1930er Jahre im Betrieb vorstellig gewordener, linientreuer Steuereintreiber wurde einmal mit derben Worten und dem immer paraten Vorschlaghammer von seinem geplanten Inkasso abgehalten und wurde nach dieser denkwürdigen Begegnung mit Jakob Bücking nie mehr in der Schlosserei gesehen.
Bei Kriegsbeginn 1939 verfügte die Firma für die Pflugproduktion über einen großen Vorrat an Einzelteilen, der ausreichend war für die Montage von 500 Geräten. Da Metall als kriegswichtiger Rohstoff der Zwangsbewirtschaftung unterlag, bestand jederzeit die Gefahr, bei unangemeldeten Kontrollen das Material abgeben zu müssen. Gut versteckt auf dem Betriebsgelände wurde bei Bedarf immer wieder ein Pflug zusammengesetzt und als begehrte Tauschware während der Kriegszeit eingesetzt. Die Wintermonate wurden in der Regel zur Produktion der Einzelteile für die Pflüge genutzt. Ab Frühjahr bis in den Herbst setzte die Kundennachfrage ein, montiert wurde in der Regel nach Bestelleingang.
Die meisten Teile für den Pflug wurden selbst hergestellt. Dies gilt auch für die in einem komplizierten Verfahren aus Endlosfederdraht geformten Stahlfedern, die für die beweglichen Außenschare benötigt wurden.
Die Schare des Pflugs – normalerweise waren es fünf – bezeichnete man nach ihrer V-Form als Gänsefußschare. Diese wurden von gegossenen Scharklammern gehalten. Diese Klammern wurden nicht selbst hergestellt, sondern von Gießereien in Kaiserslautern und Gevelsberg in Westfalen bezogen.
Der Führungsschlitten in der Mitte des Rahmens, der zur Breiteneinstellung des Pflugs diente, trug die Aufschrift Jak. Bücking Harxheim und D.R.G.M (Deutsches Reichsgebrauchsmuster).
Der Pflug blieb während der Jahrzehnte, in denen er produziert wurde, technisch weitgehend unverändert. Der Produktionsablauf wurde jedoch teilweise vereinfacht. Zumindest Teile des Pflugs waren patentiert.
Anfangs hatten die Pflüge Holzgriffe. Die Montage der Griffe war kompliziert und individuell auf den einzelnen Plug ausgerichtet. Zunächst wurde der Griff kurz auf das glühend gemachte Endstück gestülpt, so dass das Holzteil sich genau hierauf anpasste, und sofort wieder abgezogen. Danach wurde das eiserne Endstück erneut erhitzt, der Holzgriff aufgezogen, eine Unterlagscheibe aufgesetzt und vernietet. Bei späteren Modellen wurden die Holzgriffe durch Metallausführungen ersetzt.
Die Firmenlackierung der Bücking-Pflüge war generell silbern. Es wurden auch Pflüge als Anbauten bspw. für Einachsschlepper der Firma Holder und viele andere individuell gefertigt. In solchen Fällen wurde das auszuliefernde Gerät entsprechend der Farbe dieser Firmen lackiert.
Die Spurbreite des Pflugs ließ sich variabel auf eine Weinbergszeile einstellen. Als wesentliche Besonderheit des Bücking-Pfluges konnte an den hinteren Scharen jeweils seitlich ein zusätzliches, bewegliches Schar angebracht werden. Diese wurden benutzt, um unter den Rebstöcken das Unkraut zu entfernen. Das bewegliche, messerförmige Schar zog sich mittels eines Federzugs ein, wenn es auf Widerstand wie z. B. einen Rebstock traf, so dass der Rebstock nicht verletzt wurde. Der große Vorteil war, dass so nicht nur in den Zeilen, sondern auch zwischen den Rebstöcken das Unkraut entfernt werden konnte.
Der Pflug war kein Pflug (Tiefenpflug) im eigentlichen Sinn. Die Schare gingen nicht mehr als ca. 4 cm unter die Erde. Sie sollten das Unkraut von der Wurzel lösen, d.h. die Erde in den Weinbergen unkrautfrei halten.
Die Weinberge waren damals nicht begrünt. Der negative Effekt war u.a., dass die Erde bei Regen abgespült wurde und wieder in die Weinberge zurück gebracht werden musste. Es verlangte von dem Winzer, der den Pflug hinter dem Pferd oder einer Winde führte, eine Menge Erfahrung, um das Gespann – ohne Schäden an Rebstöcken und Material zu verursachen – durch die Wingerte zu geleiten.
Der Betrieb war natürlich gemessen an heutigen Maßstäben einfach eingerichtet. So gab es z. B. für die Angestellten keine Duschen zur Reinigung nach getaner Arbeit. Mehr als eine Waschschüssel oder ein Eimer und Waschsand standen nicht zur Verfügung. Für eine Grundreinigung im Winter wurde das eiskalte Waschwasser dann mit Hilfe eines glühenden Stücks Eisen, das in die mit Wasser gefüllte Wanne geworfen wurde, auf angenehme Temperatur gebracht.
1970 übernahm Jakob Bückings Enkel Gerhard Buchert von seiner Mutter Irmgard die Werkstatt. Die Produktion von Weinbergspflügen wurde mangels Nachfrage ab diesem Zeitpunkt eingestellt. Seitdem konzentriert sich der Betrieb auf Metallbearbeitung und Bauschlosserei.
Quellenangaben:
Gespräche mit Gerhard und Rosemarie Buchert