von | Dez 5, 2022

Die evangelische Kirche in Harxheim

Die evangelische Kirche in Harxheim stammt aus dem Jahr 1873. Doch schon viele Jahrhunderte davor hat an dieser Stelle eine christliche Kirche gestanden und wurde Zeugin der Zeitgeschichte. Insbesondere politische und kriegerische Ereignisse und die Reformation haben auf die Geschicke des Kirchengebäudes und der Kirchengemeinde eingewirkt.

Die Kirche ist im Denkmalverzeichnis des Kreises Mainz-Bingen aufgeführt.

Evangelische Kirche, noch unverputzt (Aufnahme vor 1948)

Bildquelle: Unbekannt

Errichtungsjahr 1484 der Vorgängerkirche, die halbe 8 bezeichnet eine 4

Bildquelle: Birgit Korte

Die evangelische Kirche in Harxheim wurde 1873 erbaut. Lediglich der untere Teil des Turmes ist älter und stammt von einem spätgotischen Vorgängerbau. Die Jahreszahl 1484 ist auf der Ostseite des Turmes noch erhalten. Jedoch auch weit vor 1484 hat an dieser Stelle wohl schon eine Kirche gestanden. Bereits vor Ende des 8. Jahrhunderts und den in diese Periode fallenden ersten urkundlichen Erwähnungen Harxheims dürfte es hier eine fränkische Siedlung gegeben haben. Hierauf lässt ein 1953 östlich der Kirche entdecktes fränkisches Gräberfeld schließen, das auf das 6. – 7. Jahrhundert datiert wurde. Ab wann dann auf der Anhöhe eine christliche Kirche stand, ist nicht genau belegt. Allerdings wurde dem Hausbuch Friedrich 1) zufolge am 25. Dezember im Jahr 800 beurkundet, dass der Priester Hadurich dem Kloster in Fulda eine Hofstatt und die Kirche zu Harahesheim schenkt.

Zerstörungen durch Kriege

Die 1484 gebaute Kirche wurde in der Folgezeit mehrfach im Rahmen von Kriegshandlungen schwer beschädigt. Während des dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) kamen 1632 die Schweden nach Harxheim. Im Zuge der Auseinandersetzungen brannte die Kirche aus. Der schwedische Einfall stand im Zusammenhang mit einem Ereignis von größerer historischer Bedeutung: 1630 griff der legendäre schwedische König Gustav II Adolf in den dreißigjährigen Krieg ein. Im Dezember 1631 überquerte er den Rhein bei Oppenheim und zog am 24. Dezember in Mainz ein. Dieser Rheinübergang wird zu den herausragenden militärischen Leistungen im dreißigjährigen Krieg gezählt. Erst Ende 1635 zogen die Schweden wieder aus Mainz ab. 2)

Im pfälzischen Erbfolgekrieg (1688 – 1697), in dem der französische König Ludwig XIV, auch bekannt als der Sonnenkönig, die territoriale Expansion nach Osten sichern wollte, war auch Rheinhessen von massiven Verwüstungen und Zerstörungen durch französische Truppen betroffen. 1691 lag ein französisches Corps mit einer Stärke von 15.000 Mann bei Nieder-Olm. In Harxheim wurden – wie auch in anderen umliegenden Orten – die Kirchenglocken mitgenommen und die Kirche beschädigt.

Nach der französischen Revolution in 1789 kam es in den Folgejahren zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Frankreich auf der einen und Preußen sowie Österreich auf der anderen Seite. 1794 kamen französische Revolutionssoldaten nach Harxheim, raubten die Kirche aus und brannten das Kirchenschiff nieder.3) Es musste abgerissen werden und wurde erst 1803 wieder neu aufgebaut.

Kirche wird im Zuge der Reformation lutherisch

Neben Kriegen war die Geschichte der evangelischen Kirche auch von der Reformation, deren Beginn meist auf den Thesenanschlag von Martin Luther in 1517 datiert wird, geprägt. Harxheim gehörte damals zur Grafschaft Falkenstein. Der Graf von Falkenstein trat 1548 zur lutherischen Lehre über. Da der Landesherr mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 ermächtigt war, über den Glauben seiner Untertanen zu bestimmen, wurden auch Harxheim und seine Kirche in der Folgezeit lutherisch.

Es ist nicht eindeutig, ob Harxheim gemäß den Vorgaben des Landesherrn schon im sechzehnten Jahrhundert lutherisch wurde. Laut dem Manuskript von H. P. Friedrich über die Geschichtliche Entstehung des Ortsnamens Harxheim, dessen Text in weiten Teilen identisch ist mit dem Text des Hausbuchs Friedrich, sollen die Lutheraner erst tatsächlich zwischen 1612 und 1624 die Oberhand in Harxheim bekommen haben. 4)   

In der Reformationszeit entstanden neben der lutherischen noch andere Glaubensströmungen. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, diese zu vereinigen. In unserer Region wurde dies 1824 umgesetzt, aus der lutherischen Kirche wurde die evangelische Kirche in Harxheim. 5)

Simultaneum in Harxheim

Nachdem Harxheim offiziell lutherisch geworden war, trat die Mehrheit der Bevölkerung zum neuen Glauben über. Ein Teil der Dorfbewohner blieb jedoch auch in der Folgezeit katholisch. Diese Gläubigen hatten nun keine Kirche mehr und beanspruchten, auch Eigentums- oder zumindest Mitnutzungsrechte an der nunmehr lutherischen Kirche zu haben. 1667 fielen die Grafschaft Falkenstein und somit auch Harxheim endgültig an den katholischen Herzog von Lothringen. Harxheim blieb dennoch lutherisch. Die neuen Herrschaftsverhältnisse erleichterten es jedoch, dass den Katholiken endgültig in 1698 ein Mitnutzungsrecht an der Kirche gewährt wurde. Harxheim hatte somit seit dieser Zeit ein Simultaneum. In der Praxis feierten die Lutheraner ihren Gottesdienst im Kirchenschiff, die Katholiken im Chorraum. Die gemeinsame Nutzung war jedoch nicht unproblematisch und führte zu fortwährenden Streitereien und auch gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Das Simultaneum hatte bis 1869 Bestand. Der katholischen Seite war kurz zuvor ein Miteigentumsrecht an der Kirche zugesprochen worden. Gegen eine Entschädigung verzichtete sie darauf und errichtete 1870 ihre eigene Kirche direkt gegenüber der evangelischen Kirche.

Neubau in 1873

Die evangelische Kirche in Harxheim auf einer Postkarte von 1915

Bildquelle: J. Lemke

Die evangelische Kirche mit dem 1803 wieder errichteten Kirchenschiff war um 1870 in einem sehr schlechten baulichen Zustand, 1872 wurde sie sogar vom Kreisbauamt Mainz wegen Baufälligkeit geschlossen. Unter eifriger Mithilfe der damals 380 Gemeindemitglieder wurde die alte Kirche 1873 bis auf den unteren Teil des noch aus 1484 stammenden Turmes abgetragen und mit dem Neubau begonnen.

Der Entwurf und die Bauleitung oblagen dem Mainzer Architekten und Bauunternehmer Philipp Elbert. Nach Fertigstellung des Rohbaus wurde unter dem Altar ein Grundstein gelegt, der unter anderem Urkunden, Münzen und eine Flasche 1873er Wein enthält. Die Einweihung der neuen Kirche fand am 7. Juni 1874 statt.

Die neue Kirche – ein einschiffiger Backsteinbau – wurde im für die Zeit typischen, dem Historismus zuzurechnenden Rundbogenstil errichtet. Kennzeichnend hierfür sind die schlichte und streng geordnete Fassadenstruktur der Kirche und die Rundbogenfenster an den beiden Seitenwänden des Kirchenschiffes. In der unteren Zone erscheinen sie als Biforien, d.h. zweigeteilt mit einem Mittelpfeiler, und in der oberen Zone als einfache Rundbogenfenster. Das Eingangsportal auf der Westseite ist im romanischen Stil gehalten.

Blick auf die evangelische Kirche um 1955

Bildquelle: Friedrich Ruckel

Turm von 1873 mit spitzem, nach unten gerichteten Ausläufer des Vorgängerturmes

Bildquelle: Birgit Korte

Die Kirche erhielt auch einen neuen Turm, da der bestehende Turm von der Größe her offensichtlich im Missverhältnis zum übrigen Gebäude stand. Der neue Turm wurde achteckig und mit einem spitzen Aufsatz gestaltet. Leider ist keine Darstellung bekannt, wie Kirche und Turm vor dem Neubau von 1873 ausgesehen haben. Zur Straßenseite fallen jedoch die zwei unterhalb des achteckigen Turms gelegenen, nach unten spitz zulaufenden, kupfergedeckten Ausläufer des Vorgängerturmes auf. 1955 erhielt der Turm ein neues Glockengeläut.

Der Backsteinbau wurde erst nach dem 2. Weltkrieg verputzt. Zunächst erhielt nur der Turm einen Putz. Seit 1961 ist die Kirche vollständig verputzt und bekam damit ihr heutiges Erscheinungsbild.

Die zweiflügelige Empore im Inneren der Kirche und die Kanzel wurden in der Zeit des Neubaus errichtet. Ein großes Fenster im Chor mit der Kreuzigungsszene stammt aus der Zeit um 1900. Erwähnenswert sind insbesondere die eindrucksvollen Buntglasfenster des Mainzer Künstlers Gustel Stein an den beiden Seitenwänden des Kirchenschiffs. Links vom Chorbogen befindet sich ein aufwendiges Grab für den Pfarrer Johann Emich (zu datieren auf rund 1750). 1985 erhielt die Kirche eine neue, von den Gebrüdern Oberlinger aus Windesheim gebaute Orgel.

Quellenangaben:

Brilmayer, Karl Johann (1905): Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart. Gießen

Krienke, Dieter (2011): Verbandsgemeinden Bodenheim, Guntersblum und Nieder-Olm. In: Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege 18, Kreis Mainz-Bingen (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Worms.

Rick, Josef (1967): Weinbaugemeinde Harxheim. In: Gemeinde Harxheim (Hrsg.): Festschrift. 1200 Jahre Weinbaugemeinde Harxheim.

Spang, Franz Joseph (1967): Harxheims Weg durch die Jahrhunderte. In: Gemeinde Harxheim (Hrsg.): Festschrift. 1200 Jahre Weinbaugemeinde Harxheim.

Sunnus, Stefan (2017): Die evangelische Kirchengemeinde. In: Ortgemeinde Harxheim (Hrsg.): Festbuch 2017. Harxheim. Eintausendzweihundertfünfzig. Selzen. S. 56 – 61.

Walter, Ralf (2017): Die katholische Kirchengemeinde. In: Ortgemeinde Harxheim (Hrsg.): Festbuch 2017. Harxheim. Eintausendzweihundertfünfzig. Selzen. S. 62 – 67.

Winhart, Karl (1955): 1200 Jahre Bodenheimer Ortsgeschichte. 1200 Jahre Weinbau. Bodenheim am Rhein.

 Broschüre zur Glockenweihe der evangelischen Kirche in Harxheim am 17. Mai 1911

1) Familie Friedrich: Aus der Chronik über Harxheim. Sammlung verschiedener Überlieferungen aus dem Besitz der Nachkommen der Harxheimer Familie Lambinet. (“Hausbuch Friedrich“). 

2) Rettinger, Elmar (2005). Der Kreis Mainz-Bingen in der Geschichte. https://www.regionalgeschichte.net/fileadmin/Superportal/Bibliothek/RettMainzBingen2005.pdf

3) Walter, Ralf (2017): Die katholische Kirchengemeinde. In: Ortgemeinde Harxheim (Hrsg.): Festbuch 2017. Harxheim. Eintausendzweihundertfünfzig. Selzen. S. 63.

4) Friedrich, H. P. (undatiert): Geschichtliche Entstehung des Ortsnamens Harxheim. Manuskript. Archiv der Ortsgemeinde Harxheim. S. 8-9.

5) Sunnus, Stefan (2017): Die evangelische Kirchengemeinde. In: Ortgemeinde Harxheim (Hrsg.): Festbuch 2017. Harxheim. Eintausendzweihundertfünfzig. Selzen. S. 58.

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