Die Ortswaagen – die Waage in der Untergasse
Jede Gemeinde in Rheinhessen hatte bis in die Mitte der 1990er Jahre eine funktionsfähige Gemeindewaage. An die Harxheimer Ortswaage in der Untergasse erinnert heute noch das alte Wiegehäuschen. Dunkle Steine im Pflaster davor zeigen die Umrisse der ehemaligen Wiegeplattform.
Jede Gemeinde in Rheinhessen hatte sie: Eine öffentliche Ortswaage! Unverzichtbar war diese Einrichtung für den Handel mit landwirtschaftlichen Gütern und Produkten. Zuckerrüben, Kartoffeln, Getreide und Trauben sowie manches Stück Großvieh passierten auf dem Wege der Weiterverarbeitung oder des Verkaufs die große Waage in der Untergasse. Im Waaghäuschen, direkt hinter der in den Boden eingelassenen Wiegeplattform, findet man die technischen Daten.
Die zuletzt eingebaute Wiegetechnik stammt aus dem Jahr 1966. Die Wiegefähigkeit wird mit 15.000 kg angegeben. Die Mindestlast beziffert die Herstellerfirma Josef Väth mit 400 kg. Nach Aussage von Friedrun Roßbach, Harxheims letzter Wiegemeisterin, war die Waage allerdings so präzise eingestellt, dass auch Kleinstmengen problemlos und exakt gewogen werden konnten. Mit der Modernisierung der Wiegetechnik wurde auch ein neues Waaghäuschen aus Stein mit einem Betonflachdach gebaut. Es ersetzte das bisherige Wellblech-Häuschen, das nahezu baugleich mit dem der Waage am ehemaligen Bahnübergang in der Bahnhofstraße war.
Um die Genauigkeit der Waage zu dokumentieren, musste diese jährlich durch einen amtlichen Eichmeister überprüft werden. Für die laufende Wiegetätigkeit war ein Wiegemeister oder eine Wiegemeisterin verantwortlich. Diese Person sowie zwei Vertreter wurden von der Ortsgemeinde benannt und waren für das ordnungsgemäße Wiegen und das Inkasso der Wiegegebühren verantwortlich. Die Einnahmen kamen dem Gemeindesäckel zugute.
Bericht in der Allgemeinen Zeitung Mainz anlässlich des 25jährigen Dienstjubiläums von Wiegemeisterin Friedrun Roßbach
Bildquelle: Friedrun Roßbach, Allgemeine Zeitung Mainz, Mai 1993
Platz an der Waage vor der Neugestaltung 2021
Bildquelle: Irmgard Kaiser-Vreke
Bis zur Stilllegung der Ortswaage am 6. Januar 1993 war Friedrun Roßbach 25 Jahre lang als letzte Wiegemeisterin tätig. Sie war hierfür prädestiniert, befand sich doch das „Wieheisje“ in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnsitz.
Vereidigungsurkunde als Wägerin 1966
Dokumentenquelle: Friedrun Roßbach, Bildquelle: HVV-Harxheim
„Der Wiegevorgang war reine Routinesache“, erzählt Friedrun Roßbach, „das beladene Fuhrwerk bzw. eine Rolle (landwirtschaftlich genutzter Anhänger) wurde auf die Wiegeplattform gefahren, gewogen und auf der Wiegekarte quittiert. Kam dann später das Gespann wieder leer zurück, wurde erneut gewogen. Die Differenz ergab das Gewicht des Wiegegutes, was abschließend dokumentiert wurde und als Basis für die Berechnung des Wiegeentgeltes diente.“
Auf die Frage, ob es irgendwann einmal Unregelmäßigkeiten gegeben habe, antwortet Friedrun Roßbach: „Geschummelt hot koner, ich hab‘ immer genau hiegeguckt. Die wusste, wer hinner de Woo gestanne hot!“
Wiegegebühren (19. Januar 1981)
Vieh/Stück 5,00 DM
Fuhre bis 5.000 kg Gesamtgewicht 7,70 DM
Fuhre über 5.000 kg Gesamtgewicht 8,90 DM
Zeitzeugin Friedrung Roßbach über ihre Tätigkeit als Wiegemeisterin an der alten Ortswaage in Harxheim
Einmal fragte sogar die Polizei die Dienstleistung der Wiegemeisterin nach. Die Ordnungskräfte hatten ein Wohnwagengespann wegen des Verdachts der Überladung angehalten und zur Waage geleitet. Glücklicherweise kam der Wohnwagenbesitzer ohne Knöllchen davon, denn er hatte das zulässige Gesamtgewicht gerade so eingehalten.
Mit dem Wandel in der Landwirtschaft und dem Einsatz größerer Transportfahrzeuge ging auch der Wiegebedarf ab den achtziger Jahren deutlich zurück. Die Einnahmen aus den Wiegegebühren deckten nicht mehr die Wartungs- und Eichkosten. Zu Beginn der neunziger Jahre stellte die Gemeinde den Wiegebetrieb ein.
Auf Initiative der Gemeindeverwaltung und der Unterstützung zahlreicher freiwilliger Helfer wurde 2016/17 das Wiegehäuschen neu hergerichtet.
2019/20 wurde im Rahmen der Erneuerung des Platzes an der Waage und Teilen der unteren Untergasse die Wiegeplattform entfernt und die darunterliegende Grube verfüllt. Schwarze Pflastersteine zeichnen heute vor dem Waaghäuschen die Fläche bzw. den Umriss der ehemaligen Wiegeplattform nach.
Der Platz sowie das historische Waaghäuschen wird heute bei Festlichkeiten wie der Kerb oder dem Harxheimer Weinhöfefest als Ausschank und Treffpunkt genutzt.
Eine weitere Waage befand sich in der Nähe des Bahnhofs Harxheim-Lörzweiler.
Quellenangaben:
Zeitzeugenbericht sowie gesammelte Unterlagen von Friedrun Roßbach
Eigene Recherchen