Der Bahnhof Harxheim-Lörzweiler
Von 1896 bis 1985 existierte eine Bahn-Nebenlinie von Bodenheim nach Alzey. Sie wurde liebevoll das Amiche genannt und führte auch an Harxheim vorbei. Noch heute zeugen die an der Strecke errichteten Bahnhofsgebäude, die nun in Privatbesitz sind und größtenteils unter Denkmalschutz stehen, von dieser Strecke durch das rheinhessische Hügelland.
Der Gedanke an den Bau einer Bahnverbindung, die den Verkehr im Selztal an die größeren Städte Rheinhessens anbinden sollte, tauchte bereits bei der Erbauung der Bahnstrecken Mainz-Worms (1853) und Mainz-Alzey über Saulheim (1871) auf. Die Inbetriebnahme einer sogenannten „Nebenstrecke“ von Bodenheim nach Alzey stellte zum Ende des 19. Jahrhunderts einen Quantensprung im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde Harxheim dar. Die Streckeneröffnung erfolgte am 28. September 1896, die eigentliche Inbetriebnahme datiert auf den 1. Oktober 1896.
Die 30,9 km lange Verbindung zwischen Bodenheim und Alzey war angepasst an die Topographie des rheinhessischen Hügellands und war dementsprechend von zahlreichen Kurven und teilweise anspruchsvollen Steigungsstrecken geprägt. Im Vorfeld gab es zahlreiche kontrovers geführte Debatten und lange Streitereien um die geplante Streckenführung. Da das jeweilige Bahnhofsgelände kostenfrei zur Verfügung gestellt werden sollte, mussten die an der Bahnlinie liegenden Gemeinden tief in die Haushaltskasse greifen, um die Strecke zu realisieren.
Insgesamt entstanden acht Bahnhöfe sowie zwei weitere Haltepunkte an der Zugstrecke. Zusätzliche Verladegleise waren für Gewerbetreibende und Landwirte vorgesehen. Der Bahnhof am damaligen Ortsrand von Harxheim trug zunächst die Bezeichnung Harxheim (Rheinh.) und wurde erst 1910 in Harxheim-Lörzweiler umbenannt.
Bis zur Fertigstellung dieser Nebenbahn mussten die landwirtschaftlichen Produkte, dies waren vor allem Getreide und Wein, aber auch Vieh und Milch – Harxheim hatte zu dieser Zeit über 200 Kühe – mit dem Fuhrwerk recht mühselig über schlechte Schotterstraßen nach Mainz auf den Markt gebracht werden. Der Transport von Zuckerrüben konnte nun effektiver und schneller vonstattengehen. Zusätzlich eröffnete sich die Möglichkeit, nach Alzey zur Schule zu fahren.
Die Bahnhöfe wurden im sogenannten Typenbau errichtet. Sie ähneln sich bis auf wenige Details. Entweder sind sie zweiteilig mit einem verbretterten Güterschuppen oder dreiteilig mit separatem Güterschuppen konzipiert. Bei den zweiteiligen Bauwerken kann die Ausführung auch seitenverkehrt sein. Im Erdgeschoss befanden sich die Diensträume und im ersten Stock die Wohnung des Bahnbediensteten.
In der Ausgabe der Landeskrone konnte man zur Streckenöffnung folgendes lesen: „Bodenheim war festlich geschmückt…, anwesend waren Seine Exzellenz Staatsminister…, Seine Exzellenz Finanzminister…, der Herr Provinzialdirektor…, der Herr Kreisrat…, der Herr Oberbürgermeister von Mainz…, der die Anwesenden begrüßte und ein Hoch auf den Großherzog ausbrachte. Alle Stationen Bodenheim, Gau-Bischofsheim, Harxheim-Lörzweiler, Mommenheim, Selzen-Hahnheim, Köngernheim-Undenheim, Bechtolsheim, Gau-Odernheim, GauKöngernheim, Framersheim, Schafhausen und Alzey waren feierlich geschmückt. Krieger-, Turn- und Gesangvereine mit ihren Fahnen, die Feuerwehr, die Schulen und Bewohner der betreffenden Gemeinden empfingen die Festteilnehmer des Zuges mit Böllerschüssen, Gesang, Hochrufen, Musik und Tücherschwenken. Die Bürgermeister der einzelnen Orte hielten Ansprachen. Mit großer Freude und sichtbarer Dankbarkeit wurde überall die Eröffnung der Bahn begrüßt“.
Vier dreiachsige Tenderlokomotiven (Henschel und Sohn, Kassel) zogen damals zwölf Personen-, zwei Post- und Gepäckwagen (Gebr. Gastell, Mainz-Mombach) sowie dreißig Güterwagen (Talbot, Aachen) über die Strecke. Am Anfang verkehrten auf der Gesamtstrecke täglich fünf Personenzüge in beiden Richtungen sowie ein Frühzug von Undenheim/Köngernheim nach Alzey. Später gab es auch durchgehende Zugverbindungen von Alzey nach Mainz. Das Personal wurde von der Regierung gestellt. Einen Stationsvorsteher gab es nur in der Station Gau-Odernheim. Undenheim-Köngernheim bekam einen Stationsassistenten, die Stationen Selzen-Hahnheim und Framersheim je einen Haltestellenaufseher; die einfachen Haltestellen waren unbesetzt, alle übrigen Stationen erhielten expedierende (Frachten annehmende und versendende) Bahnwärter.
Die Vergabe eines Kosenamens für den Personenzug – jeder nannte diesen das Amiche – ist typisch für Rheinhessen. Namenspatin war angeblich eine Botenfrau namens Annemarie, die regelmäßig mit dem Zug zu Besorgungen nach Mainz gefahren sein soll. Dabei nahm sie auch Aufträge anderer Personen entgegen und erlangte hierdurch einen gewissen Bekanntheitsgrad. Aus dem „Annemarieche“ wurde dann mit der Zeit das „Amiche“. Die Verwendung des sächlichen Artikels entspricht dem rheinhessischen Sprachgebrauch, in dem bei der Ansprache des weiblichen Geschlechts bzw. bei der Nennung des Frauen- oder Mädchennamens der Artikel „das“ verwendet wird.
Nach nicht einmal 100 Jahren kam das Ende der Nebenbahn und somit auch das Aus für den Bahnhof Harxheim-Lörzweiler. Wegen fehlender Rentabilität wurde die Strecke im Juni 1985 für den Personenverkehr stillgelegt. Der letzte Rübentransport fand im November 1992 statt. Die vier rheinhessischen Gemeinden Mommenheim, Harxheim, Selzen und Gau-Bischofsheim schlossen sich 1994 zusammen und teilten sich die Kosten für den Grunderwerb und den Bau eines Radweges auf der ehemaligen Bahntrasse. Heute ist dieser Radweg ein integraler Bestandteil des überörtlichen Radwegenetzes in Rheinland-Pfalz.
Quellenangaben:
Fillinger, Gerhard; Hinkel, Manfred (2006): Die Nebenbahn Bodenheim – Alzey. Erfurt.
Marschall, Bernhard (2007): Geschichten und Geschichte einer Selztalgemeinde. Selzen.