von | Nov 29, 2022

Zeitenwende – Harxheim von 1933 bis 1945

Das nationalsozialistische Gedankengut fiel in Rheinhessen auf fruchtbaren Boden und Harxheim bildete hier keine Ausnahme. Schon rasch nach der Machtergreifung im Jahr 1933 etablierten sich auch in unserem Ort nationalsozialistische Strukturen. Systemgegner waren Anfeindungen und Repressalien ausgesetzt. Vom direkten Kriegsgeschehen blieb Harxheim wie viele rheinhessischen Orte im zweiten Weltkrieg weitgehend verschont.

Die NS-Zeit ist das dunkelste Kapitel Deutschlands. In der Festschrift zur 1200-Jahr-Feier Harxheims im Jahr 1967 wurde diese Epoche nicht erwähnt. Zu frisch waren noch die Erinnerungen an die NS-Zeit und den 2. Weltkrieg, zu viele Wunden offen oder nur oberflächlich geheilt. Manche Konfrontationen aus der NS-Zeit belasteten noch Jahrzehnte danach nachbarschaftliche Beziehungen.

Bis zum Beginn der NS-Zeit hatte Harxheim etwa fünfundzwanzig jüdische Einwohner, die entweder in Konzentrationslagern umkamen oder unter schwierigsten Umständen zur Flucht gezwungen waren. Fragen zum Schicksal dieser Mitbürger  kamen nach dem Krieg kaum öffentlich zur Sprache. Erst in jüngerer Zeit ist zu diesem Thema recherchiert worden.

Dieser Beitrag versucht, nach vielen Jahrzehnten die Entwicklungen dieser Zeit in Harxheim situativ zu skizzieren, soweit es Dokumentationen, Fotos und Zeitzeugenberichte heute noch zulassen.

Harxheim war eine typisch landwirtschaftlich geprägte rheinhessische Gemeinde. Die gesamte wirtschaftliche Situation war – bedingt durch die Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre – sehr angespannt. Viele Höfe kämpften mit hoher Verschuldung, die kaum Raum für wichtige Investitionen ließ. Der Revanchismus aufgrund des verlorenen Ersten Weltkriegs, die hohe Arbeitslosigkeit und eine gewisse politische Orientierungslosigkeit brachten der nationalsozialistischen Bewegung Adolf Hitlers regen Zulauf. Nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 und dem Erlass des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 folgten die Auflösungen und Verbote der politischen Parteien. Hitler hatte mit seiner NSDAP die Macht übernommen. Es begannen die Jahre der bedingungslosen Gleichschaltung.

Die neuen NS-Führungsstrukturen wurden in jeder Gemeinde, so auch in Harxheim, nach dem gleichen Muster etabliert. Die politisch gesteuerte Ortsgruppenleitung hatte das Sagen und stand in engem Austausch mit der Kreisleitung in Mainz, besonders wenn Dinge im neuen politischen Sinn zu regeln waren. Außerdem gab es einen Ortsbauernführer, dessen wesentliche Aufgabe es war, die verwendeten Saatgetreidemengen sowie die eingebrachten Erntemengen zu dokumentieren, um die Produktionsziele des Reichsnährstandes zu erfüllen.

Beflaggtes Schulhaus, 1941

Bildquelle: Christel Deiß

Der damalige Bürgermeister Adam Böhm (Amtszeit 1927 bis1946) hatte sich all dem unterzuordnen, er war letztendlich nur noch ausführendes Organ. Andere Organisationen wie die DAF (NS-Arbeitervertretung Deutsche Arbeitsfront) hatten in Harxheim einen Ortsobmann. Die NS-Frauenschaft (NSF) und die NS-Volkswohlfahrt (NSV) sorgten sich um Dinge des „civilen Gemeinwohls“. Für nicht wenige Bürger schien es aus unterschiedlichsten Erwägungen opportun, sich der einen oder anderen dieser Organisationen zügig anzuschließen. Das gesamte öffentliche Leben war innerhalb kürzester Zeit diesen Strukturen unterworfen. Die Bevölkerung arrangierte sich mehr oder weniger schnell mit den neuen Verhältnissen.

Heinrich Brehm, späterer Bürgermeister von Harxheim, mit seiner zukünftigen Frau Babette auf dem Weg zur standesamtlichen Trauung, um 1937

Bildquelle: Unbekannt

Die Umbenennung der Straßen war eine der ersten Amtshandlungen der Ortsgruppenleitung im Frühjahr 1933. Wie in jeder Stadt oder Gemeinde fanden sich die Namen von Nazi-Größen der ersten Stunde auch schnell auf den Straßenschildern in Harxheim wieder: Die Obergasse wurde in Horst-Wessel-Straße, die Untergasse in Hermann-Göring-Straße und die Bahnhofstraße in Adolf-Hitler-Straße umbenannt.

Die Jugend passte sehr gut in das Beuteschema der Nationalsozialisten und ließ sich aus politischer Sicht als gut formbare Zielgruppe für Hitlerjugend (HJ) und den Bund deutscher Mädels (BDM) begeistern. Ab dem 1. Dezember 1936 wurden die wöchentlich stattfindenden Treffen mit Sport, Kriegsspielchen und Hausarbeitsstunden ebenso wie die Teilnahme an Aufmärschen und Parteiversammlungen zur Pflicht.

Gespanntes Verhältnis zwischen Kirche und Staat 

Das Verhältnis zwischen Kirche und dem NS-Apparat war schon in den Anfängen sehr schnell angespannt. Christliche Einrichtungen beider Konfessionen sowie deren Vertreter waren, sofern sie nicht Bereitschaft zeigten, gemeinsame Sache mit den „Braunen“ zu machen, Bespitzelungen, Anfeindungen und Repressalien durch die „civile Gesellschaft“ ausgesetzt. Auch kirchliche Bauwerke wurden nicht verschont. Der hölzerne Aufbau des Harxheimer Kapellchens wurde am Ostersonntag, dem 1. April 1934, von einer ortsfremden HJ-Gruppe vollständig demoliert.

Ein Schriftwechsel aus dem Jahr 1940 dokumentiert, wie sich das Verhältnis zwischen Kirchenvertretern und Ortsgruppenleitung aufgrund einer Streitigkeit massiv zuspitzte. Eingebunden in den Schriftwechsel war der für die katholische Kirchengemeinde in Harxheim zuständige Pfarrer Rachor aus Gau-Bischofsheim, der Harxheimer Ortsgruppenleiter sowie der Ortsobmann der DAF von Harxheim.

BDM-Schar in der Plästergass (Gaustraße), 1941

Bildquelle: Christel Deiß

Die NS-Frauenschaft hatte in der leerstehenden Lehrerwohnung ohne Anfrage bei der katholischen Kirchengemeinde, die diese Wohnung von der Gemeinde gemietet hatte, einen Kochkessel installiert. In diesem kochten die Frauen zur Unterstützung des Winterhilfswerks (WHW) Lattwersch (Zwetschgenmus). Eine an den Ortgruppenleiter gerichtete Beschwerde des Pfarrers über die aus seiner Sicht unerlaubte Nutzung der Räume zum Lattwerschkochen wurde dem Kirchenmann quasi als „Verrat am Deutschen Volk bzw. der Wehrmacht“, für die das Zwetschgenmus als Heimatgruß vorgesehen war, ausgelegt. 

Ein Gerücht, dass die NSV  zudem einen Kindergarten in der Lehrerwohnung einrichten wollte, wurde ebenfalls Pfarrer Rachor ungerechtfertigterweise zugeordnet. Der Ortsobmann der DAF  beendete hierzu ein Schreiben an den Pfarrer mit deutlichen Drohungen: „Sollte sich der Pfarrer und der Kirchenvorstand nicht entschuldigen bzw. die Person nennen, die dieses Gerücht in Umlauf gesetzt hätte, würde man die NS-Kreisleitung in Mainz einschalten“. Jeder wusste, was dies bedeuten konnte.

Kriegsgeschehnisse in Harxheim

Ab 1942 nahm die Intensität der alliierten Luftangriffe über Rheinhessen zu. Zwischen Harxheim und Mommenheim entstanden eine Scheinwerferstellung mit Flakschutz und eine Mannschaftsbaracke. Die Bedienungsmannschaft bestand aus sechs bis acht Luftwaffen-Soldaten und zivilen Helfern aus Mommenheim und Harxheim für die nächtliche Bereitschaft. Gegen die US-Tiefflieger, die Harxheim und unsere Nachbargemeinde Mommenheim immer stärker attackierten, bot das leichte Flak-Geschütz allerdings keinen ausreichenden Schutz. Diese in der Flur Auf dem Türkelstein befindliche Stellung wurde im Februar 1945 geräumt.

200 cm-Flakscheinwerfer in Aktion, 1944

Bildquelle: Archiv Heinz Leiwig

Der Absturz eines bereits stark durch Beschuss beschädigten amerikanischen B-17 Bombers in Ortsrandnähe am 17. August 1943 war das wohl dramatischte Kriegsereignis. Von den zehn Besatzungsmitgliedern kamen zwei Soldaten ums Leben, drei wurden als vermißt gemeldet, fünf gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Historisches Luftbild „Harxheim bei Mainz“ (16121336: Luftaufnahme der USAAF, aufgenommen aus einer Überflughöhe von ca. 7.500 – 8.000 Meter; Maßstab: ca. 1:10.000; 24.12.1944)

Bildquelle: Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH

Über die Zeit der alliierten Fliegerangriffe kam die Gemeinde Harxheim glücklicherweise – mit Ausnahme eines nächtlichen Brandbombenabwurfs und damit verbundenen geringfügigen Brandschäden an einer Scheune (Anwesen Jerke im Stegklauer) – ohne größere Schäden hinweg.

Die meisten Phosphorkanister und Stabbrandbomben fielen in die Gemarkung In der Lieth bzw. gingen längs des südlichen Ortsrandes nieder. Weiterhin gab es einen Notabwurf von mehreren Sprengbomben außerhalb des Orts in Richtung Zornheim.

Die Harxheimer Feuerwehr – sie nannte sich zu dieser Zeit Feuerschutzpolizei – wurde ab 1943 bis Kriegsende von einer Frauenwehr unter dem Kommando von Susanna Bänsch als Gruppenführerin unterstützt.

Während der schweren Bombenangriffe auf Mainz wurde die Harxheimer Wehr mehrfach zur Unterstützung bei Löscheinsätzen angefordert

Susanna Bänsch auf Gruppenführerlehrgang, 1943

Bildquelle: Peter Bänsch

Harxheimer Frauen mit vier polnischen Kriegsgefangenen (Mitte, mit (Militär-)Mützen) im Wingert, 1942

Bildquelle: Christel Deiß

In den landwirtschaftlichen Betrieben der Ortsgemeinde waren rund fünfzehn Ostarbeiter und Kriegsgefangene tätig. Tagsüber verrichteten sie in den ihnen zugewiesenen Höfen ihre Arbeit und verbrachten die Nacht in einem Saal im Haus Krone.

Nicht nur Lebensmitteldiebstahl, sondern auch der Kontakt zu Frauen waren den Gefangenen strengstens untersagt. Im Falle einer Denunziation bedeutete das für den Betroffenen in der Regel den Abtransport und die Todesstrafe.

Mit Beginn des Russlandfeldzugs 1942 stieg die Zahl der Gefallenen und Verwundeten aus Harxheim mit jedem weiteren Kriegsjahr deutlich an. Die Kirchenglocken riefen immer häufiger zu Gedenkgottesdiensten für einen gefallenen Sohn oder Ehemann. Die anfängliche Kriegseuphorie wich zunehmend der Gewissheit, dass Deutschland den Krieg verlieren werde.

Am 20. März 1945, rund drei Wochen vor zur deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945, stießen die amerikanischen Truppen durch Rheinhessen in Richtung Rhein und Mainz vor. Im Rahmen dieses Vormarsches wurde Harxheim am 20. März 1945 befreit überstand diesen Tag ohne Kampfhandlungen und Opfer.

Quellenangaben:

  1. Verschiedene Unterlagen aus den Archieven der katholischen Pfarrbüros in Gau-Bischofsheim und Lörzweiler, zur Verfügung gestellt von der katholischen Kirchengemeinde Harxheim
  2. Festschrift zur Einweihung des Harxheimer Kapellchen am 17. Mai 1980, S. 3;
  3. Festschrift Freiwillige Feuerwehrwehr Harxheim zum 75. Jubiläum am 3.-5. Mai 2002, S.18;
  4. Büllesbach, Rudolf/Hollich, Hiltrud/Trautenhahn, Elke (2013): Bollwerk Mainz – Die Selzstellung in Rheinhessen. München. S. 94
  5. Malerwein, Dr. Gunther (2016). Rheinhessen 1816-2016. Mainz. S. 268-317
  6. Leiwig, Heinz (2016): Es war ja nichts: Nationalsozialismus in Rheinhessen. Fakten, Daten, Namen 1933-1945. Mainz. S. 35-66
  7. Marschall, Bernhard (2015): Von Mumenheim zu Mommenheim: 1250 Jahre Ortsgeschichte. Mommenheim. S.302
  8. Zeitzeugenberichte, eigene Recherchen

Weitere Beiträge

Das Kriegerdenkmal – Gedenksäule zur Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71

Basierend auf Recherchen von Franz GötzAn der Nordseite der evangelischen Kirche steht heute das Kriegerdenkmal zur Erinnerung an die Teilnehmer...
Weiterlesen

Die Aufzeichnungen von Johannes Würth

Johannes Würth war von 1909 bis 1920 evangelischer Pfarrer in Harxheim. In dieser Zeit hat er sich auch als fleißiger...
Weiterlesen

Die Selzstellung – Befestigungsgruppe Harxheim

Die inzwischen weithin in Vergessenheit geratene Selzstellung entstand im Zeitraum von 1907 bis in die ersten Jahre des ersten Weltkrieges...
Weiterlesen

Zeitenwende – Harxheim von 1933 bis 1945

Das nationalsozialistische Gedankengut fiel in Rheinhessen auf fruchtbaren Boden und Harxheim bildete hier keine Ausnahme. Schon rasch nach der Machtergreifung...
Weiterlesen

Bomberabsturz 17. August 1943 – Harxheim entgeht einer Katastrophe

Auf dem Rückflug von einem schweren amerikanischen Doppelangriff auf Schweinfurth und Regensburg stürzte ein schwer getroffener amerikanischer Bomber vom Typ...
Weiterlesen

20. März 1945 – Die Amerikaner kommen

Kaum mehr drei Wochen vor der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 waren die amerikanischen Truppen auf dem Vormarsch durch...
Weiterlesen

Harte Nachkriegsjahre und “Harxheimer Tomaten”

Frühjahr 1945 – Deutschland hatte kapituliert. Rheinhessen wurde nach kurzer Besatzung durch die Amerikaner französische Besatzungszone. Nach harten Kriegsjahren folgten...
Weiterlesen

Friedenstraße

Nach dem 2. Weltkrieg suchten 12 Millionen aus dem Osten stammende Deutsche in der Bundesrepublik eine neue Heimat. So enstand...
Weiterlesen

Harxheimer Kulturheim

Das Harxheimer Kulturheim wurde 1950/51 durch Eigenleistungen des Männergesangvereins Frohsinn und der Sportgemeinde 03 als Harxheimer Sport- und Feierstätte errichtet....
Weiterlesen