von | Nov 25, 2022

„Michel Michel“ – das letzte Harxheimer Original

Michel Michel war ein wahrlich kauziger Vertreter der Gattung Dorf-Originale. Er und sein Fahrrad waren unzertrennlich, Gartenwerkzeuge waren seine große Sammelleidenschaft – zum Ärger ihrer Eigentümer.

„Michel Michel“, Oktober 1982

Bildquelle: Siegfried Schäfer

Wer kannte ihn nicht, den kleinen, etwas untersetzten Mann auf dem älteren Damenfahrrad! Michael Michel hieß er, allen nur bekannt unter dem Namen „Michel Michel“. Ausgestattet mit einer Batschkapp und einer Schweißerbrille radelte er – einem täglichen Ritual folgend – durch Harxheims Gassen und anschließend durch die umliegenden Gemeinden, um seine Kilometer zu strampeln. Manche Harxheimer meinten sogar, ihn manchmal mit einer Taucherbrille auf seinem Drahtesel gesehen zu haben, so ganz bestätigt wurde das aber nie. Er bewohnte – zuletzt alleine – ein kleines Anwesen in der Obergasse 16. Nach seiner Pensionierung als Eisenbahner konzentrierte sich sein Freizeitinteresse auf’s Radfahren sowie auf ausgedehnte Spaziergänge durch die Harxheimer Gemarkung.

Immer auch Ausschau haltend nach nützlichem Ackergerät, das sich über die Jahre in seiner Scheune zu Hauf ansammelte. Bei der einen oder anderen „Verfolgung und Razzia“ der rechtmäßigen Eigentümer fanden die Hacken und Spaten auch wieder unter Protest und allerlei Ausreden des Zwischeneigners ihren Weg zurück in den Heimatschuppen.

Vor allem in der Zeit der Weinlese war Michel Michel in den Weinbergen als Wingertsschütz unterwegs, wobei er sich sehr gerne zu den Vesperterminen der Lesekräfte einfand. Eine Diskussion um Inhalte seiner mitgeführten Bild-Zeitung leitete dabei sehr häufig die Partizipation an einer Mahlzeit ein, zu der er sich mit größter Selbstverständlichkeit einlud.

„Bild“-ung im Wingert, Oktober 1982

Bildquelle: Siegfried Schäfer

Legendär ist eine Episode, die sich einmal im Hof seines Anwesens abspielte und heute noch gerne im „Alten Ort“ zum Besten gegeben wird. Michel Michel putzte eines Tages sein geliebtes Fahrrad und baute dabei auch das Tretlager aus. Die Kügelchen des Lagers wurden fein säuberlich in einem Döschen beiseite gestellt und harrten der Reinigung. Unglücklicherweise stieß Michel Michel die kleine Büchse vom Mäuerchen und die Kugeln rollten den Hof hinunter. Die anwesende Hühnerschar – hoch erfreut über das anrollende Futter, aber zum Entsetzen des Hühnerchefs – pickte in Windeseile die Futterkügelchen auf. Der vor Wut schäumende und lamentierende Michel Michel sann umgehend auf Rache und rief nur noch seiner Frau zu: „Anna, es Messer e‘raus, die Hinkel wer’n geschlacht!“ Was zur Erheiterung der nachbarschaftlichen Beobachter beitrug, dürfte den Mitgliedern des Hühnervolks weniger gut bekommen sein. Ob die Abreibung für den Kugellagerverzehr tatsächlich so drakonisch ausfiel, ist leider nicht überliefert. Michel Michel wurde jedenfalls einige Tage später wieder auf (s)einem Fahrrad gesehen.

Michael Michel wurde am 17. Januar 1906 geboren und verstarb am 5. Juli 1997.

Quellenangaben:

Zeitzeugenberichte

Eigene Recherchen

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