von | Mrz 7, 2023

Jüdisches Leben in Harxheim: Fritz Mayer

Der älteste Sohn von Ferdinand Mayer, Moritz Fritz, Rufname Fritz, geboren am 21. August 1907, ging in Harxheim zur Volksschule und machte 1926 Jahre (in Mainz oder Frankfurt) das Abitur. 1) 3)

Nach den Erzählungen seiner Söhne Thomas und Bernard liebte ihr Vater in seiner Harxheimer Zeit die Spaziergänge in den Weinbergen und auch den rheinhessischen Wein. Vater Fritz erwähnte ihnen gegenüber auch die Weinfeste, bei denen manchmal auch ein Gläschen zu viel getrunken worden sei. Fritz Vater Ferdinand, streng gläubiges Mitglied der jüdischen Gemeinde Ebersheim-Harxheim, sah für seinen Sohn eine Ausbildung als Rabbi vor und schickte ihn schon in jungen Jahren für die entsprechende Ausbildung nach Frankfurt. Im Alter von etwa 15 Jahren erkannte jedoch Fritz, dass er diesen Weg nicht einschlagen wollte und es kam hierüber zu heftigen Auseinandersetzungen mit seinem Vater. Fritz setzte sich durch und studierte in Frankfurt und Paris/Sorbonne Literatur und Geisteswissenschaften. 1936 wurde er zum Dr. phil. promoviert, eine der wahrscheinlich letzten Doktortitelverleihungen an Juden in Frankfurt. Er musste als Jude auf die offizielle Anerkennung des Doktortitels eine Zeitlang warten, bekam den Titel jedoch letzten Endes. 2)

Fritzchen Mayer Untergasse, 1914

Bildquelle: Franz Götz

Fritz heiratete am 25. Februar 1936 die in Frankfurt am 24. Juni 1906 geborene Karola Berta Lorch. Das Ehepaar wohnte in der Hölderlinstraße 7 in Frankfurt unweit des Zoologischen Gartens.

Die herrschenden beruflichen Zugangsbeschränkungen bzw. Ausübungsverbote für Juden durch das NS-Regime boten Dr. Mayer kaum Möglichkeiten, sich seiner Ausbildung entsprechend beruflich zu entwickeln. Von März 1934 bis November 1938 leitete er in Frankfurt das Tagesheim der erwerbslosen jüdischen Jugend. Das Heim wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstört, Fritz Mayer wurde am 10. November von der Gestapo verhaftet und einen Tag später in das KZ Buchenwald verschleppt. 3) 4)

Im überfüllten Lager herrschten unbeschreibliche Zustände gepaart mit dem permanenten Terror der SS-Lageraufsicht. In der Schrift Twice a year: A Book of Literature, the Arts and Civil Liberties (1945) erschien Fritz Mayers Erzählung: My name is Fritz Mayer. Sie schildert in erschütternder Weise seine Erfahrungen als Häftling 7636 an einem Tag im KZ Buchenwald. (6)

My Name is Fritz Mayer  –  Mein Name ist Fritz Mayer aus „Twice a year: A Book of Literature, the Arts and Civil Liberties“ (New York 1945)

Bildquelle: Twice a year: A Book of Literature, the Arts and Civil Liberties“ (New York 1945)

My Name is Fritz Mayer  –  Mein Name ist Fritz Mayer aus „Twice a year: A Book of Literature, the Artsand Civil Liberties“ (New York 1945), übersetzt ins Deutsche 2022

Bildquelle: Twice a year: A Book of Literature, the Arts and Civil Liberties“ (New York 1945), Üversetzt von Siegfried Schäfer und Birgit Korte 2022

Fritz wurde am 10. Dezember 1938 unter der Bedingung aus Buchenwald entlassen, bis spätestens zum 16. Januar 1939 Deutschland zu verlassen. In den Wochen von Dezember 1938 bis Januar 1939 war er nochmals bei der jüdischen Gemeinde in Frankfurt angestellt, wo er sich um jüdische Jugendliche in der herrschenden schwierigen Situation kümmerte. Parallel beschaffte er die Einreisevisa nach England für sich, seine Frau und seinen am 27. September 1937 geborenen Sohn Thomas Ferdinand. Fritz Mayer verließ Deutschland Mitte Januar, um einer weiteren Verhaftung zu entgehen. Er reiste über die Niederlande nach Großbritannien. 2) 3)

Im März 1939 reiste seine Frau Karola mit dem kleinen Thomas Ferdinand mit der Bahn zunächst nach Amsterdam. Von dort ging es mit dem Flugzeug weiter nach London. Es dauert noch bis Dezember 1939, bis die Einreisevisa für die USA vorlagen. 2) 3)

In einem Interview im Januar 2022 berichtete Sohn Thomas Mayer über diese Zeit:

„Wie viele jüdische Emigranten wurde Vater Fritz nach seiner Ankunft in England interniert (bis 24. Oktober 1939), da England keine jüdischen Erwachsenen im Land behalten wollte. Wer in die USA ausreisen wollte bzw. konnte, kam auf eine Warteliste. Meine Mutter Karola und ich waren ebenso in einem Internierungslager untergebracht, das mit den einsetzenden deutschen Bombenangriffen evakuiert wurde. (Thomas mag seit dieser Zeit keine lauten Feuerwerke mehr.) Die internierten Personen wurden auf Privathaushalte in kleineren Städten in der Umgebung von London verteilt.“ 2) 3)

Seine Frau Sara ergänzt: „Die Familie, bei der Karola mit Thomas einquartiert war, benahm sich gegenüber den als „ungebeten“ empfundenen Gästen sehr abweisend und geringschätzend. Ihre Gäste waren ja Deutsche, die gegen England Krieg führten. Außerdem wurde Mutter und Sohn ihr Judentum zusätzlich negativ anrechnet. Karola vermied es daraufhin, so wenig wie möglich Zeit mit ihrem Sohn im Hause ihrer „Gastgeber“ zu verbringen. Der Aufenthalt dort sowie die Kosten für Reisedokumente und Fahrkarten für die beabsichtigte Weiterreise in die USA mußten in Devisen bezahlt werden. Hier wurde die Familie wiederum durch die bereits in New York lebenden Angehörigen finanziell unterstützt.“ 2) 3)

Die Mayers verliesen am 23. Dezember 1939 mit dem Dampfer New Foundland als Teil eines Geleitzuges den Hafen von Liverpool mit Ziel USA. Nach ihrer Ankunft in Boston am 8. Januar 1940 kamen sie ebenfalls zunächst bei Fritz Schwester Sara alias Saerri Zapun und deren Mann Gerhard in New York unter. Damit war die Familie Mayer wieder vereinigt.  2)

Damit wohnten nun alle Mayers und die sie aufnehmende Familie Halle mit zusammen elf Personen in einer Wohnung.

Von den Möbeln, Kleidungstücken und Hausrat, die Fritz Mayer in Frankfurt bei der allgemeinen Transportgesellschaft für den sogenannten Lift in die USA gegen eine hohe Geldsumme aufgegeben hatte, kam niemals etwas am Zielort an. Der Besitz wurde kriegsbedingt in Frankfurt beschlagnahmt. Somit war das Ehepaar Mayer in den USA zunächst mittellos und mußte bei Null beginnen. Fritz studierte erneut von Januar 1940 bis August 1941 an der New York School of Social Science an der Columbia University in New York, um einen anerkannten Abschluss zu erhalten. 2) 3)

Ab September 1941 war er wieder berufstätig und arbeitete zunächst beim Jewish Board of Guardians (JBG) in New York als Sozialarbeiter. Das JGB war eine private jüdische Wohlfahrtsorganisation, die sich um das Wohl und die Belange jüdischer Einwanderer und Flüchtlinge insbesondere auch Kinder kümmerte und diese in vielerlei Hinsicht unterstützte. Einige Jahre später verzog die Familie aus beruflichen Gründen nach Cleveland, Ohio. Am 12. März 1946 kam dort der zweite Sohn Bernhard Simon zur Welt. 2) 3) 5) 7)

Die Sozialarbeit begleitete Dr. Fritz Mayer während seines ganzen beruflichen Lebens. Er spezialisierte sich später auf die Behandlung traumatisierter und psyschisch belasteter Kinder und Jugendlicher und veröffentlichte zu dieser Thematik verschiedene Bücher und Schriften. In Cleveland war er über viele Jahre als Direktor im Behandlungszentrum Bellefaire kursiv für junge Trauma-Patienten tätig. Parallel hielt er an verschiedenen Universitäten Vorträge und Seminare zu dieser Thematik. 5) 7)

Fritz Mayer verstarb am 22. Dezember 1977 in Cleveland, Ohio. Seine Ehefrau Karola wurde 89 Jahren alt, sie starb am 9. August 1995 in Boulder, Colorado. 2) 5)

Fritz Ehefrau Karola war die Tochter des in Frankfurt in der Beethovenstraße 59 lebenden Ehepaar Bernhard und Ida Lorch, geborene Kaufmann. Sie besuchte als Mädchen in Frankfurt das Philanthropin, das Gymnasium der jüdischen Gemeinde. Ihr Vater Bernhard war Kaufmann und während seines Berufslebens als Betriebsleiter tätig. Er war Trauzeuge bei der Hochzeit von Fritz und Karola. Bernhard Lorch starb kurz vor der Deportation. Carolas Mutter Ida (geb. am 2. Mai 1870 in Ladenburg/Baden) wurde am 18. August 1942 von Frankfurt aus nach Theresienstadt und danach weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Sie wurde dort am 26. September 1942 ermordet 3) 5) 8)

Quellenangaben:

1) Archiv der Verbandsgemeinde Bodenheim, Personenstandsregister der Mairie Harxheim-Gau-Bischofsheim; Standesamtsregister Harxheim.

2) Informationen von Thomas, Sara, und Bernie Mayer, (1/2022). 

3) HHStA Wiesbaden 518-20314.

4) Stadtarchiv Frankfurt/M., Standesamtsregister

5) Informationen von Bernie Mayer, (1/2023).

6) My Name is Fritz Mayer aus „Twice a year: A Book of Literature, the Arts and Civil Liberties“ (New York 1945), zur Verfügung gestellt von Bernie Mayer, USA, (1/2022). (ins Deutsche übersetzt 2022).

7) www.bellefairejcb.org, entnommen 02/2023.

8) Das Gedenkbuch des Bundesarchives für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945).

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