von | Mrz 8, 2023

Jüdisches Leben in Harxheim: Fam. Ferdinand und Judith Mayer

In der heutigen Untergasse 19 lebte seit Generationen die Kaufmannsfamilie Mayer. Zuletzt waren Ferdinand (geboren am 16.07.1880 in Harxheim) und Ehefrau Judith, geb. Weil (geboren am 30.03.1881 in Randegg bei Esslingen) hier ansässig. Sie heirateten am 20. August 1906 in Harxheim.  Aus der Ehe gingen die fünf Kinder Moritz Fritz, Sara, Johanna, Herta und Simon hervor.

Ferdinands Vater Jakob III. (13.11.1850 – 15.10.1921) war der Bruder von Gottschalk Mayer (26.12.1852 – 04.09.1941). Jakob III. war mit Sara, geb. May (13.04.1844 – 07.07.1903) verheiratet. Ihre Schwester Babette (01.03.1851 – 18.08.1914) war die Ehefrau von Gottschalk Mayer. Die May-Schwestern stammten beide aus Geinsheim. 1) 2)

Ferdinand war somit der Cousin des zur gleichen Zeit in der heutigen Untergasse 13 lebenden Moritz Mayer, dem Sohn von Gottschalk Mayer.

Ferdinand selbst überlebte als einziger seine sechs Geschwister. Diese starben entweder in den ersten Lebensjahren oder im frühen Erwachsenenalter.1)

Ferdinand Mayer betrieb in Harxheim ein sehr gut gehendes Geschäft, in dem er Tabakwaren und Manufaktur- und Spezereiwaren en detail verkaufte. Er war Eigenümer eines ansehnlichen Grundstücks mit Wohn- und Nebengebäude. Seine Frau brachte finanzielle Mittel in die Ehe ein. Hiermit wurden die auf dem Grundstück befindlichen Gebäude in ein für die damalige Zeit modernes und gut eingerichtetes Ladengeschäft mit einem umfassenden Warenlager umgebaut. Ferdinand kümmerte sich um die Tätigkeiten im Außendienst und besuchte seine Kunden außerhalb Harxheims. Ehefrau Judith führte während der langen Arbeitstage den Verkauf im Laden, erledigte die Bestellungen bei Lieferanten und regelte Buchführung und Bankgeschäfte. Aufgrund der Aufgabenteilung beschäftigten die Mayers zur Haushaltsführung und Versorgung ihrer Kinder zusätzlich eine Haushilfe. 3)7)

Werbeanzeige von Ferdinand Mayer (oben links) im Festbuch zum 75 jährigen Jubiläum des Katholischen Kirchenchors Lörzweiler (Auszug)

Bildquelle: Sammlung Rüdiger Gottwald 

Festbuch mit Werbeanzeige von Ferdinand Mayer im Festbuch zum 75 jährigen Jubiläum des Katholischen Kirchenchors Lörzweiler (Auszug)

Bildquelle: Sammlung Rüdiger Gottwald 

Das Ehepaar Mayer legte sehr großen Wert auf gute Bildung. Aufgrund ihres Fleißes und ihres gut gehenden Geschäftes konnten sie ihren fünf Kindern allesamt den Besuch auf einer der höheren Schulen in Mainz ermöglichen. 3)

Schon Ferdinands Vater Jakob III. und dessen Bruder Gottschalk waren zeitweise Mitglied im dreiköpfig besetzten Vorstand der Jüdischen Gemeinde Ebersheim-Harxheim. 4)

Sohn Ferdinand knüpfte hieran an und war von 1896 bis 1934 ebenfalls Mitglied des Vorstandes und ehrenamtlicher Vorbeter. In der Zeitschrift Der Israelit vom 25. Oktober 1934 – in diesem Jahr verließen die Mayers Harxheim – wurden die Verdienste von Ferdinand Mayer als einer großen Persönlichkeit umfassend gewürdigt. Hervorgehoben wurde insbesondere sein großes Engagement für seine jüdische Gemeinde in den schwierigen Zeiten des ersten Weltkrieges und den Folgejahren, in denen er sich um die regelmäßige Fortführung der Gottesdienste in der Ebersheimer Synagoge kümmerte. Sein Weggang wurde in diesem Artikel als großer Verlust für die Gemeinde und das rheinhessische Landjudentum bezeichnet. 5)

Schon vor 1933 begann sich der von den Nationalsozialisten propagierte Antisemitismus auch in Harxheim auszuwirken und belastete das bis dahin gut gehende Geschäft der Mayers. Judith Mayer berichtete von zunehmenden Belästigungen durch Nationalsozialisten. Schon vor 1933 sei ihr Sohn Fritz von ihnen tätlich angegriffen worden. (Schriftverkehr in den Akten zur Klage auf Wiedergutmachung) 3)6)7)

Nach der Machtübernahme 1933 brachen in Folge der am 1. April 1933 von den Nationalsozialisten erfolgten Boykott-Aufrufe gegenüber jüdischen Geschäftsleuten Umsatz und Gewinn des Betriebs ein. Das Geschäft kam dann in den Folgemonaten völlig zum Erliegen. Selbst bisher treue Kunden trauten sich vermeintlich aus Angst vor Denunziation nicht mehr in den Laden der Mayers. Angesichts der präkären Geschäftslage und gesundheitlich bereits erheblich angeschlagen, meldete Ferdinand Mayer sein Gewerbe am 14. Oktober 1934 ab. Der Lagerbestand wurde mit massiven Preisabschlägen verkauft. Das Anwesen erwarb der aus Ebersheim stammende Kaufmann Emil Bölli, der das Geschäft als Einzelhandel weiterführte. Die Familie zog im gleichen Monat nach Frankfurt in die Hegelstraße 6. Ferdinand Mayers Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend, er verstarb in Frankfurt am 7. April 1936. 3)

Ferdinand und seine Frau Judith wurde von Kunden des Hauses als eine der angesehensten und wohlhabendsten Bürger in Harxheim und Umgebung beschrieben. 6)

Quellenangaben:

1) Archiv der Verbandsgemeinde Bodenheim; Personenstandsregister der Mairie Harxheim-Gau-Bischofsheim.

2) Gemeindearchiv Trebur

3) HHStA. Wiesbaden 518-77557

4) Tapp, Berthold: Die israelitische Gemeinde Ebersheim mit Harxheim und ihre Synagoge (1830-1938). 2014.

5) www.alemannia-judaica.de Bild Nr. 25101934.jpg, entnommen 01/2023. 

6) HHStA. Wiesbaden 518-54523.

7) Rieber, Angelika u. Till Libertz-Groß, Hrsg.: Rettet wenigstens die Kinder – Kindertransporte aus Frankfurt am Main. Frankfurt 2018, S. 246-257.

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